Herr Bilo, welche Themen beschäftigen Sie aktuell am meisten?
Jürgen Bilo ist Managing Director von co-pace. Das globale Team baut seit 2017 weltweit ein Ökosystem mit innovativen Startups auf und arbeitet mit diesen und den Geschäftsfeldern von Continental Automotive zusammen, um neue Technologien schneller marktfähig zu machen und ein breites Spektrum an Anwendungen für die Mobilität der Zukunft abzudecken. Im Interview erklärt Jürgen Bilo, welchen Beitrag starke Partnerschaften und der Aufbau eines eigenen Innovations-Ökosystems im Wandel der Automobilindustrie leisten können.
Es gibt nicht das eine Thema. Wir beschäftigen uns vielmehr mit einer ganzen Bandbreite an Innovationen und neuen Geschäftsmodellen. Das macht unsere Arbeit so spannend. Wir denken dabei in zwei Richtungen: Erstens, wie wir das Technologie-Portfolio von Automotive erweitern können. Wir arbeiten dabei eng mit den Geschäftsfeldern zusammen und suchen für sie Technologien für spezifische Anwendungen. Zweitens analysieren wir Innovationen und Entwicklungen im Markt und überlegen, welche hiervon eine sinnvolle Ergänzung unseres Angebots sind und die Mobilität der Zukunft bereichern können. Wenn wir die Mobilität der Zukunft beschreiben, reden wir heute oft vom „Smartphone auf Rädern“. Im übertragenen Sinn wird das vor allem dann attraktiv, wenn auch der App-Store gut gefüllt ist. Und das geht vor allem über Partnerschaften und Innovationen, die unser Kerngeschäft bei Sicherheit, Displays, Vernetzung und autonomen Fahren ergänzen oder sogar erlauben neue Geschäftsfelder aufzubauen.
Wie können die Startups ein führendes Technologieunternehmen wie Continental-Automotive unterstützen?
Sie können bei einem breiten Spektrum unterstützen. In der Transformation der Automobilindustrie geht es nicht nur darum, neue Technologien und Geschäftsmodelle zu identifizieren, was schon ein wesentlicher Teil unserer Arbeit ausmacht. Es geht auch darum, diese schneller in einer Applikation zu implementieren. Schnelligkeit, Anpassungsfähigkeit und auch Reduzierung von Risiken sind hier wichtige Faktoren. Wir liefern einen wesentlichen Beitrag, indem wir uns frühzeitig mit Zukunftstechnologien beschäftigen – und zwar auch abseits der automobilen Kernthemen. Über co-pace können wir interessante Themen frühzeitig identifizieren und einbinden. Damit können wir schneller auf sich dynamisch wandelnde Märkte und die immer schnelleren Innovationszyklen reagieren. Darüber hinaus helfen wir die Entwicklungszeit zu verkürzen und mit neuen Produkten schneller auf den Markt zu kommen. Denn mit unseren Startups sparen wir oft die aufwendige Vorentwicklung und starten in der Regel bereits mit einem Prototyp. Das spart viel Zeit und Kosten und reduziert Risiken.
Warum braucht man heute dafür Startups und kann dies nicht mehr inhouse?
Die Forschung und Entwicklung von Continental-Automotive ist sehr leistungsstark und hat herausragende Expertise. Aber die Automobilindustrie hat sich in den vergangenen Jahren rasant gewandelt. Früher konnten Automobilzulieferer die meisten Innovationen aus eigener Kraft gestalten. Heute ist das Themenspektrum erheblich breiter und Entwicklungen verlaufen wesentlich schneller. Es braucht Fokus auf das, was man am besten kann, und gleichzeitig die Fähigkeit ein breites Spektrum abzudecken. Beides lässt sich nur erreichen, wenn sie strategisch entscheiden, was wird inhouse entwickelt, was wird zugekauft und was über Partnerschaften abgedeckt. Darüber hinaus helfen Partnerschaften das Investitionsrisiko zu minimieren. Gerade bei aufwendigen Vorentwicklungsthemen, insbesondere brandneuen Technologien oder Geschäftsmodellen, mit denen wir keinerlei Erfahrung haben, sind Partnerschaften und insbesondere Startups oftmals sinnvoll. Wir greifen auf etwas Vorhandenes zurück und reduzieren so Risiken, sparen Kosten und reduzieren „Time to Market“. Konkret heißt das auch, dass wir nicht aufwendig eigene Teams für Produktentwicklungen in selektiven, neuen Innovationsfeldern aufbauen müssen. Vielmehr können unsere Teams ihren Fokus auf Entwicklungen legen, die wir mit hoher Verlässlichkeit zur Marktreife bringen können. Investments in Startups und Technologiepartnerschaften werden daher zu immer wichtigeren strategischen Instrumenten. Sie sind ein wesentliches Element, um die Zukunft der Mobilität zu gestalten.
Technologiepartnerschaften und Investments in Startups werden zu immer wichtigeren strategischen Instrumenten und Erfolgsfaktoren.
Welches sind Ihre tragenden Säulen, um das Potential des Startup Ökosystems zu nutzen?
Letztlich ist jede Zusammenarbeit mit Startups von vielen Faktoren abhängig und sehr individuell zu gestalten. Dabei lassen sich jedoch zwei grundsätzliche Vorgehensweisen unterscheiden, die sich durchaus ergänzen können. Auf der einen Seite haben wir unsere reinen Partnerschaften mit Technologieunternehmen. Wir arbeiten hier mit Startups zusammen, um deren innovative Technologien aber auch Geschäftsmodelle in unsere Produkte zu integrieren und möglichst schnell zur Marktreife zu entwickeln und diese dann in meist hohen Volumen zu produzieren. Die Zusammenarbeit wird hier in Kollaborationsverträgen geregelt. Die zweite Säule ist unseren Corporate Venture-Capital-Einheit. Wir beteiligen uns finanziell an Unternehmen, deren Technologie,Know-how und Business Case überzeugt. Dabei verstehen wir uns als strategischer Investor. Für uns ist ausschlaggebend, dass die Startups über innovative Technologien verfügen, mit denen sich neue Märkte und Geschäftsmodelle frühzeitig erschließen lassen. Hier bekommen wir sehr früh Einblicke in Entwicklungen und können das möglicherweise mit einer operativen Partnerschaft verbinden, was immer häufiger der Fall ist.
Was haben die Startups hiervon?
Sie profitieren in hohem Maß von der Automotive-Expertise von Continental, der Standardisierung und Skalierung, die ein führender Automobilzulieferer ganz anders vorantreiben kann als jedes junge Unternehmen. Wir wissen, wie man eine Technologie in ein Produkt integriert, wie man es qualifiziert und wie man es in Millionen Stückzahlen fertigt. Davon profitiert schlussendlich auch der OEM. Weiterhin haben wir Zugang zu dem weltweiten Automobilmarkt und verschaffen dem Startup einen einmaligen Einstieg in diesen Markt.
Was sind Beispiele für Technologien, die bereits in das Produktportfolio von Continental Automotive aufgenommen wurden?
Wir haben eine ganze Reihe Technologien erfolgreich integriert und eine gut gefüllte Pipeline für zukünftige Produkte. Ich will hier nur zwei Beispiele nennen. Wir entwickeln mit dem Startup Deep-Drive ein Brems Antriebsmodul. Mit der Partnerschaft können wir perspektivisch unser Produktportfolio grundlegend erweitern – nämlich von reinen Bremssystemen auf integrierte Brems- und Antriebssysteme. Und es ist auch ein tolles Beispiel für die Win Win Situation, die wir mit unseren Partnerschaften schaffen: Deep-Drive ist Spezialist für die Entwicklung effizienter Elektromotoren. Damit gewinnen wir Know-how in einem Bereich, der bislang nicht abgedeckt war. Andersrum profitiert Deep-Drive von unserer technologischen Expertise bei Bremssystemen, aber auch von unserer Entwicklungspower und Kompetenz, solche Produkte in die Großserie zu überführen.
Was ist das zweite Beispiel?
Ein weiteres Beispiel ist die strategische Zusammenarbeit mit banbutsu. In Verbindung mit unserem eTravel.Companion verwandelt banbutsu das Fahrzeug in einen individuellen Erlebnisraum – innen und außen. Beispielsweise passt sich der Innenraum an ihre Lieblingsmarke oder den bevorzugten Fußballverein, situationsabhängig und in Echtzeit an. Möglich sind hier nebst der Bespielung sämtlichen Displaykanälen sowie Licht und Sound auch Grafiken, die auf der Seitenscheibe angezeigt werden können. Damit lässt sich das Fahrzeug je nach Interesse und Situation individuell gestalten. Neue Geschäftsmodelle werden denkbar, wie die Nutzung für Werbung Markenkommunikation, Personalisierung – etwa mit dem Logo des bevorzugten Fußballvereins – oder der nahtlosen Integration von Produkt- und Serviceangeboten. Die Kooperation ist damit auch ein Beispiel, welche zusätzlichen Anwendungen und Innovationen rund um Mobilität und deren Monetarisierung künftig möglich werden. Die Lösungen haben wir bereits auf CES in Las Vegas vorgestellt und sehr positives Feedback von Kunden erhalten. (Mehr dazu hier)
Die Automobilindustrie wird zu einem vernetzten Ökosystem aus Tech-Partnern, Startups, Automobilzulieferern und OEMs – als co-pace leisten wir hier einen entscheidenden Beitrag, Potenziale aus dem Startup Ökosystem frühzeitig zu erschließen.
Wie wird die Mobilität der Zukunft aussehen?
Kurz gesagt: digital, vernetzt und in Teilen autonom. Software- und Technologiekompetenzen werden für die Automobilindustrie weiter an Bedeutung gewinnen. Künstliche Intelligenz wird auch hier eine große Rolle spielen. Nur wer es schafft, auf effiziente Weise von neuen Technologien und Innovationen zu profitieren und auch neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, wird auch in Zukunft erfolgreich sein. Auch wenn Autobauer ihre Wertschöpfungstiefe insbesondere im Bereich elektrischer Antrieb und Software erhöhen, wird die Automobilindustrie zu einem vernetzten Ökosystem aus Tech-Partnern, Startups, Automobilzulieferern und OEMs. Für Automobilzulieferer ergeben sich daraus viele Chancen für die Erweiterung des Geschäftsmodells – als co-pace leisten wir hier einen entscheidenden Beitrag, diese Potenziale frühzeitig zu erschließen.